Fabio Geda, Der Sommer am Ende des Jahrhunderts

Fabio Geda, Der Sommer am Ende des Jahrhunderts

Wenn ich ein Buch aufschlage, dann möchte ich eine Geschichte gut erzählt bekommen, und das trifft bei diesem Roman zu:

Fabio Geda erzählt hier eine große Geschichte von der Welt der Kindheit und den Wahrheiten der Erwachsenen, von Familienzusammenhalt und Verlusten, vom Scheitern und Träumen, von politischen Konflikten und kleinen Refugien.

Das erste Kapitel dieses wunderbaren Romans nimmt uns sofort mit in die Welt des 12-jährigen Zeno, der mit seinem Vater zum nächtlichen Fischen aufs Meer fährt; seine Gedanken kreisen um eine Ungerechtigkeit, die ihm von Seiten der Erwachsenen widerfahren war. Zeno scheint in dieser Nacht den größten Walbarsch seines Lebens zu fangen, doch da fällt sein Vater unvermittelt in Ohnmacht, und der Junge muss eigenhändig das Boot und seinen Vater an Land bringen.

Mit diesem Vorfall endet das vertraute Leben im sizilianischen Dorf: der Vater muss für unbestimmte Zeit ins Krankenhaus in Genua, seine Frau begleitet ihn dorthin. Zeno wird zu seinem Großvater gebracht, von dessen Existenz er bis dato nichts gewusst hatte. In dessen abgeschiedenem, etwas modrigem Haus in den Piemonteser Bergen beginnt für den Jungen eine Zeit, die vom Schweigen des Großvaters und der Sorge um seinen Vater, aber auch vom Umherstreifen in der Umgebung geprägt wird.

Der Roman ist in drei Erzählstränge geteilt:

einerseits sind wir ganz nah dabei, wenn der Zwölfjährige sich seine Welt durch Zeichnen und Begegnungen mit anderen Jugendlichen neu zusammensetzt.

Andererseits ist der Ich-Erzähler bereits erwachsen; er berichtet von seinem Leben im Rückblick. So erfahren wir zwischendurch, dass er mittlerweile ein bekannter Comic-Zeichner geworden ist, und welche Rolle seine Freunde später spielen werden.

Den dritten Erzählstrang bildet die Lebensgeschichte des Großvaters, von ihm selbst aufgeschrieben: eine Zeitspanne, von der Flucht der jüdischen Familie nach Frankreich, über das Nachkriegsitalien mit Aufenthalten in Ferienlagern für unterernährte Kinder, bis hin zum Sommer 1999, wo plötzlich sein Enkel Zeno bei ihm abgegeben wird. Der Mann, der sein ganzes Leben lang versucht hatte, möglichst unsichtbar zu sein, muss sich nun auf diesen Jungen einstellen. Es gibt wenig Gemeinsamkeiten, aber in der klösterlichen Stille und über das Medium des Zeichnens finden sie eine tiefe Verbundenheit miteinander.

Fabio Geda schreibt eine schöne Sprache ohne literarische Akrobatik. Der Roman ist lebendig ohne spektakulär zu werden. Er ist politisch und spannend, ohne Schuldzuweisungen oder Klischees. Gefühle und Traumatisierungen schimmern durch den Text – wir Leser sinken hinein, ohne dass jede Regung detailliert ausgesprochen oder erklärt werden muss. Wir nehmen teil an einem Erwachsenwerden mit allen diffusen Ängsten, aber auch am Entdecken der Selbstwirksamkeit und dem langsamen Begreifen, dass Erwachsen sein nicht bedeutet, alle Fragen beantworten zu können.

Gruß, Ihre Frau Schmitt

(Knaus, 2011, 352 S. /19,99 EUR. 978-3-8135-0499-6)

Tachenbuch

(btb Verlag / 9,99 EUR. 978-3442749355)